Mail einer Tochter
Meine drei Geschwister und ich haben in den letzten 8 Jahren selbst viele Erfahrungen gesammelt mit Demenz, weil unsere Mutter nach zwei Notoperationen, die innerhalb von 10 Tagen stattfanden, als Pflegefall nach Hause zurückkam. Vor allem mein Vater, meine Schwester und ich wollten ihr den Aufenthalt in einem Heim ersparen. Sie ist zu Hause gestorben und war nicht allein.
Auch weil unser Vater 7 Jahre der Demenz unserer Mutter begleitet hat, war unsere Geschichte etwas anders. Das war einerseits eine riesige Hilfe, andererseits konnte unser Vater die Krankheit nicht mehr so richtig begreifen, jedenfalls nicht durchgängig, was zu weiteren Problemen führte. Auch die Uneinigkeit zwischen den Geschwistern, die zwar alle die Mutter liebten, aber unterschiedlichen Einsatz brachten und unterschiedliche Vorstellungen hatten.
Hätte ich den Film doch früher zu sehen bekommen und zum Beispiel gewusst, dass Schaffelle das Wundliegen verhindern und dass eine Heimeinweisung nicht bedeuten muss, dass man einen demenzkranken Menschen abschiebt und sich selbst bzw. überfordertem Personal überlässt. Es gibt jede Menge Modelle dazwischen.
Und wie erfinderisch Günter Roggenhofer und seine Frau Anna Daller waren und sind. Sie haben die Erkrankung der Mutter bzw. Schwiegermutter als Herausforderung betrachtet und nicht als Schicksalsschlag. Sie förderten alle Fähigkeiten, die noch vorhanden waren, und wollten sich nicht damit abfinden, dass es nur noch „bergab“ geht. Genauso beschäftigen sich liebevolle Eltern mit ihren Kindern. Auch wenn über die verbale Sprache weniger Austausch stattfindet, so werden alle anderen Kommunikationskanäle aktiviert. Wie bei kleinen Kindern zeigt auch bei Demenzerkrankten der Blick, wie es ums Befinden steht. Und wie bei kleinen Kindern, sind alle Gefühlsäußerungen echt.
Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass bisweilen von ganz ungeahnter Seite Hilfe kam. Dann arbeiten alle zusammen und wissen plötzlich intuitiv, was richtig ist. Je öfter man das Thema gegenüber anderen anspricht, umso mehr wird deutlich, dass Demenz uns alle angeht und die meisten ab einem bestimmten Alter in irgendeiner Weise mit diesem Thema in Berührung kommen.
Günter Roggenhofer und Anna Daller haben auch die anderen Heimbewohner mit einbezogen und ich ahne, wie schlimm es gewesen sein muss, die Mutter wieder nach Hause und wegzuholen von ihren Mitbewohnern. Die beiden wollen nicht gefeiert werden als besonders edle Menschen, sondern sind ihrem Herzen gefolgt und haben ihr Möglichstes versucht. Ihr Vorbild macht Mut, es auch zu versuchen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die beiden andere beraten, Privatmenschen und Pflegepersonal.
Auch wenn ich sehr traurig bin, dass unsere Mutter nicht mehr da ist, tröstet mich der Gedanke, dass sie sehr viel Zuwendung bekam und nicht alleine war. Ihre Empathie, ihre Dankbarkeit und ihr Humor waren trotz fortgeschrittener Demenz bis zum letzten Tag spürbar. Ich hätte niemals gedacht, dass ein Mensch, dessen Möglichkeiten vermeintlich so reduziert sind, so viel zur Gemeinschaft beitragen kann. Sie hat eine große Lücke hinterlassen.
Ich finde, dass unsere Gesellschaft momentan dazu neigt, Fähigkeiten, die dem Verstand zugeordnet werden, zu überschätzen, und intuitive Fähigkeiten zu unterschätzen.
Auch ein Blick auf andere Kulturen und wie dort mit alten Menschen umgegangen wird, könnte unseren Horizont erweitern.
Der Film macht nicht nur Mut, sondern ist voller Anregungen, wie mit den unterschiedlichen Herausforderungen umgegangen werden kann. Er sollte viel öfter gezeigt werden.
Herzlichen Dank an alle, die zu dem Film beigetragen haben.